Die zweite Welle der COVID-19-Pandemie zwingt viele Regierungen schwierige Entscheidungen zu treffen, um die Zahl der Neuinfektionen möglichst einzudämmen. Die Finanzmärkte erhalten Auftrieb durch Hoffnung auf weitere fiskalische und geldpolitische Stützmaßnahmen.
COVID-19 Update – Rasante Verschlechterung in Europa
In Frankreich wurde für die insgesamt rund 20 Millionen Einwohner von neun Großstädten, einschließlich Paris, eine Sperrstunde angeordnet. Vergleichbare Maßnahmen wurden in Belgien und Slowenien getroffen und werden auch in mehreren Regionen Italiens erwartet. In Wales und der Republik Irland wurde für jeweils zwei bzw. sechs Wochen ein Lockdown verhängt.
Allerdings sind die Einschränkungen nicht so streng wie im letzten Frühjahr, denn die Schulen bleiben geöffnet und wesentlich wenige Geschäfte sind gezwungen, zu schließen. In Ländern, die die Ansteckung im Sommer unter Kontrolle hatten, in denen jetzt aber eine zweite Welle einsetzt, werden neue Einschränkungen verhängt. In Deutschland und Holland fordern die Entscheidungsträger die Bevölkerung auf, unnötige soziale Kontakte zu meiden.
Diese Entscheidungen zeigen, wie schnell sich die Gesundheitssituation verschlechtert. Europa war besonders stark betroffen, aber auch in den USA, wo die Zahl der neuen Fälle pro Tag den höchsten Wert seit Anfang August erreichte, wurde ein Anstieg deutlich. Die Krankenhauseinweisungen und Todesfälle scheinen trotz steigender Infektionszahlen niedrig zu bleiben, aber wir dürfen nicht vergessen, dass zwischen der Ansteckung und der Verschlimmerung der Symptome mehrere Wochen vergehen können. Ob zusätzlich ein saisonaler Effekt im Spiel ist, können die Epidemiologen derzeit noch nicht eindeutig feststellen.
Sollten sich die Werte in den nächsten Wochen nicht verbessern, könnten sich die Regierungen gezwungen sehen, drastischere Maßnahmen zu ergreifen, obwohl die Echtzeit-Mobilitätsindikatoren langsam zurückgehen.
Besonders für Europa sind die Auswirkungen neuer Aktivitätsbeschränkungen wichtig, da sich die Erholung dort schon im September – d. h. vor Beginn der zweiten Welle – als anfällig erwies.
Unterschiedliche Entwicklungen in den einzelnen Volkswirtschaften
In China blieb das BIP in Q3 mit einem Wachstum um 4,9 % im Vorjahresvergleich (nach einem Wachstum um 3,2 % in Q2) hinter den Erwartungen (laut Bloomberg 5,5 %) zurück. Die Daten für September fielen allerdings besser aus als erwartet: der Einzelhandelsumsatz erholte sich weiter, während die Industrieproduktion nach 5,6 % jetzt um 6,9 % stieg. Falls dieser positive Trend anhält, kann die Geldpolitik neutral bleiben, während ein enttäuschendes Wachstum Maßnahmen der Zentralbank zur Folge hätte, die noch über einigen Spielraum verfügt. In der Tat hat sich die Aktivität in China bisher trotz geringerer Stimulusmaßnahmen als in anderen Ländern erholt.
In den USA fielen die Daten des verarbeitenden Sektors gemischt aus. Die Industrieproduktion bleibt unter ihrem Stand von September 2019, während von den Statistiken für den verarbeitenden Sektor in New York und Philadelphia widersprüchliche Signale ausgehen. Die am Freitag erwarteten Einkaufsmanagerindizes dürften neue Informationen liefern. Der Wohnimmobilienmarkt profitiert weiterhin von den niedrigen Zinsen. Das Vertrauen der Bauherren erreichte im Oktober einen Rekord. Diese betonten, dass der Begriff „Zuhause“ für Beruf, Lernen, Studium und zu anderen Zwecken wieder an Bedeutung gewinnt.
US-Wahl – noch (mindestens) zwei Wochen
Die zweite Debatte zwischen den beiden Präsidentschaftskandidaten soll am Donnerstag stattfinden, und neue Regeln sollen eine klare (und akustisch besser verständliche) Diskussion ermöglichen als am 29. September. Da Joe Biden in den Meinungsumfragen vorne liegt, könnte Donald Trumps Strategie zwei Wochen vor der Wahl entscheidend sein.
Aufgrund des potenziellen Unterschieds zwischen den Ergebnissen der Briefwahl und der persönlichen Wahl, besonders in den sechs sog. Swing States, in denen die Ergebnisse offen sind, wird das Ergebnis eventuell nicht unmittelbar nach dem Schließen der Wahllokale feststehen. Ein umstrittenes Wahlergebnis dürfte zu erhöhter Volatilität an den Märkten und Kapitalströmen in sichere Häfen führen – man erinnere sich nur an die Wahl im Jahr 2000.
Aus wirtschaftlicher Sicht ist vor allem die Zusammensetzung des Senats wichtig.[JP1] Bei einer eindeutigen demokratischen Mehrheit könnte schnell ein umfassendes fiskalisches Stimuluspaket verabschiedet werden. Der ‚HEROES Act‘ des Repräsentantenhauses zeigt, wie ein Stimuluspaket nach Art von Biden aussehen könnte. Im ersten Jahr würden 9 % des BIP in die Volkswirtschaft fließen. Die Ausgaben würden zum größten Teil Unterstützung für Privathaushalte (Arbeitslosenunterstützung, Stimulusschecks) und Unternehmen betreffen, daneben langfristigere Maßnahmen zugunsten von Gesundheit und Bildung usw.
Ein derartig umfassendes Paket könnte die Rentenmärkte vor eine Herausforderung stellen, da angesichts des neuen geldpolitischen Rahmens der Fed die Wahrscheinlichkeit, dass diese bei stark steigenden Ausgaben und zunehmender Inflation die Leitzinsen erhöht, geringer ist. Die Rendite zehnjähriger Treasuries ist zwischen dem 29. September und dem 20. Oktober bereits um 14 Bp auf 0,79 % gestiegen, während die erwartete Fünfjahresinflation in fünf Jahren von 2,04 % auf 2,17 % gestiegen ist (siehe Diagramm 1). Aufgrund der Unsicherheit bezüglich der weiteren Entwicklung der Pandemie und der Nachwirkungen der Rezession, besonders im Hinblick auf den Arbeitsmarkt, halten sich die Zinsschwankungen jedoch in Grenzen.

Märkte – Zögern bei den Aktien; historische Emission am europäischen Rentenmarkt
Die internationalen Aktien sind in der letzten Woche um 1,5 % zurückgegangen (MSCI AC World Index in US-Dollar zum Börsenschluss am 20.10.). Der US S&P 500 verlor innerhalb von fünf Handelstagen 2 %. Gegenüber Ende September konnte er sich um 2,4 % verbessern, was den guten Konjunkturdaten, dem eher vielversprechenden Beginn der Gewinnsaison und der Hoffnung auf Stimulusmaßnahmen – seitens der Demokraten – vor der Wahl zu verdanken ist. In der Eurozone fiel der Index EuroSTOXX 50 innerhalb von fünf Handelstagen um 1,2 % und liegt derzeit um 1,9 % über seinem Wert von Ende September.
Trotz zahlreicher Quellen kurzfristiger Volatilität sehen wir riskante Anlagen auf mittlere Sicht konstruktiv, da die konjunkturpolitischen Maßnahmen zur Stützung der Aktivität verstärkt werden dürften.
Die Renditen europäischer Anleihen mit langen Laufzeiten gingen – auch in den Märkten der Peripheriestaaten – stark zurück. Zusätzlich zu den Sorgen bezüglich der Wachstumsaussichten rechnet man stark damit, dass die EZB bis Ende des Jahres ihre Anleihekäufe erhöht. Die EU emittierte die ersten Anleihen zur Finanzierung des Kurzarbeitsprogramms SURE – Support to mitigate Unemployment Risks in an Emergency. Die Resonanz war enorm, denn es wurden 17 Millionen der AAA gerateten Sozialanleihen im Gesamtwert von 233 Mrd. EUR gezeichnet.
Die Nachfrage der Anleger nach weiteren Emissionen dürfte hoch bleiben, da diese überstaatlichen Wertpapiere für die Anleihekäufe der EZB in Frage kommen.
