Warnungen der US-amerikanischen und chinesischen Behörden unterstreichen das Dilemma widersprüchlicher Inflations- und Wachstumsdaten: Energie und angespannte Arbeitsmärkte treiben die Erzeuger- und Verbraucherpreise in die Höhe, während gleichzeitig Anzeichen für ein nachlassendes Wachstum deutlich werden. Dies brachte die globale Geldpolitik und die Märkte für riskante Anlagen in eine Zwickmühle.
Der Dow Jones Industrial Average fiel in der vergangenen Woche zum siebten Mal in Folge, während die Rendite zehnjähriger US-Staatsanleihen bei etwa 3,0 % lag (fast doppelt so hoch wie vor einem Jahr (1,6 %)). Die Rohstoffpreise gerieten unter Verkaufsdruck, da die Risikoaversion der Anleger zunahm. Die Zuflüsse zu als sicher geltenden Anlagen trieben den US-Dollar in die Höhe und brachten seinen handelsgewichteten Index auf den höchsten Stand seit fast zwei Jahrzehnten (siehe Diagramm 1).
Politische Warnungen …
China schürte zu Beginn der vergangenen Woche die Sorgen der Märkte, als Premierminister Li Keqiang warnte, dass die Lage auf dem heimischen Arbeitsmarkt ‚kompliziert und ernst‘ werde. Die Null-Covid-Politik des Landes fordert einen hohen Tribut von der lokalen Wirtschaft, was sich weltweit negativ auswirkt. Während der Lockdown in Shanghai möglicherweise bald aufgehoben wird, sehen sich andere Großstädte (einschließlich Peking) mit neuen Einschränkungen konfrontiert.
Der Vorsitzende der US-Notenbank Jerome Powell sprach Mitte der Woche eine Warnung aus: Die Fed könne keine ‚weiche Landung‘ garantieren, wenn sie versuche, die galoppierende Inflation inmitten eines angespannten US-Arbeitsmarktes wieder auf ihren Zielwert von 2 % zu bringen. Der US-Senat bestätigte Powell dennoch mit überwältigender Mehrheit für eine zweite Amtszeit, was mit geldpolitischer Kontinuität rechnen lässt.
Anfang der Woche hatte der ehemalige Fed-Vorsitzende Ben Bernanke in einem Interview mit der New York Times vor der Gefahr einer Stagflation gewarnt.
Verschärft durch harte Inflationsdaten …
Die US-Verbraucherpreisinflation lag im April bei 8,3 %, ein leichter Rückgang gegenüber ihrem Wert von 8,5 % im März. Die Kerninflation (ohne Lebensmittel- und Energiepreise) stieg jedoch im Monatsvergleich von 0,3 % auf 0,6 %, ein Wert, der für die Fed immer noch zu hoch ist.
Besonders stark war die Inflation im Dienstleistungssektor, die im April im Monatsvergleich um 0,7 % anstieg und damit den größten monatlichen Zuwachs seit August 1990 verzeichnete. Die Einzelhandelsumsätze stiegen um 0,9 % gegenüber dem Vormonat, was die anhaltend robuste Verbrauchernachfrage unterstreicht, auch wenn sich die Wachstumsrate damit im dritten Monat in Folge verlangsamt hat.
Die Aussichten, dass die Inflation in absehbarer Zeit auf das 2 %-Ziel der Fed zurückfällt, sind möglicherweise nicht gut: Das hohe Lohnwachstum – die Stundenlöhne stiegen im Jahresvergleich um rund 5 % – könnte die Preissteigerung in nächster Zeit weiter anheizen. Wir weisen darauf hin, dass die Inflation im Dienstleistungssektor in der Regel sehr viel stabiler ist als andere Indexkomponenten.
Aus Sicht der Fed könnte dieser Preisdruck wiederum die Inflationserwartungen in die Höhe treiben.
Der Markt geht davon aus, dass der jüngste Inflationsbericht Zinserhöhungen um jeweils 50 Basispunkte auf den Fed-Sitzungen im Juni und Juli besiegelt. Er erhöht auch die Chancen, dass die Fed bei späteren Sitzungen an ihrem aggressiven Straffungskurs festhält. Eine Schlüsselfrage ist, inwieweit – und wann – höhere Zinssätze auf die Realeinkommen durchschlagen, das Nachfragewachstum bremsen und damit die Volkswirtschaft insgesamt verlangsamen werden.
Die hohen Daten zur Dienstleistungsinflation deuten auch darauf hin, dass die Anspannung auf dem Arbeitsmarkt deutlich nachlassen müsste, um das Lohnwachstum wieder auf ein für die Fed akzeptables Niveau zu bringen. Wir denken, dass eine Komponente nachgeben muss, damit die Fed in Zukunft nicht stärker auf die Bremse zu treten braucht.
Die EZB nähert sich weiter einer restriktiven Politik an, und der Markt rechnet nun damit, dass ihr Anleihekaufprogramm (APP) im Juli ausläuft und kurz darauf eine Zinserhöhung um 25 Basispunkte folgen wird. Unterstützt wird der straffere Kurs der EZB durch die starke Inflation, die im April um 7,4 % (wie im März) stieg, und die sinkende Arbeitslosigkeit (die Arbeitslosenquote erreichte im März ein Rekordtief von 6,8 %).
Der Krieg in der Ukraine hat die Aufwärtsrisiken für die Inflation durch den Anstieg der Lebensmittel- und Energiepreise und durch Versorgungsengpässe noch verstärkt. Neben der höheren Inflation scheint die EZB auch über die Ansteckungseffekte von Lohnerhöhungen besorgt zu sein. In letzter Zeit haben sich immer mehr Entscheidungsträger für eine erste Zinserhöhung bereits im Juli ausgesprochen.
Und schleichende Anzeichen für ein langsameres Wachstum
Anzeichen für eine nachlassende Wachstumsdynamik gibt es vor allem im Vereinigten Königreich, wo das BIP-Wachstum im März unerwartet um 0,1 % gegenüber dem Vormonat zurückging.
In der Eurozone schrumpfte die Industrieproduktion im März um 1,8 % gegenüber dem Vormonat, und die Produktion des verarbeitenden Gewerbes ging um 1,6 % zurück. Die Hauptursache dafür waren die durch den Krieg in der Ukraine verursachten Störungen. Die Schwäche konzentrierte sich auf Deutschland, dessen Lieferketten stärker mit Osteuropa verflochten sind. Dem deutschen Automobilsektor fehlen in der Ukraine hergestellte Komponenten.
Selbst in den USA deuteten die jüngsten Daten auf eine Verlangsamung des Wachstums hin. Bei den Anträgen auf Arbeitslosenunterstützung war ein Anstieg der Erstanträge zu verzeichnen, die Umfrage der Senior Loan Officer vom Mai verzeichnete einen Rückgang der Nachfrage nach Hypothekenkrediten, der Verbraucherstimmungsindex der University of Michigan vom Mai erreichte den niedrigsten Stand seit Beginn der Pandemie, und die Empire State Manufacturing-Umfrage zum Geschäftsklima der Region New York vom Mai brach ein.
Auch China veröffentlichte schwache Daten: Die Industrieproduktion, die Anlageinvestitionen und die Einzelhandelsumsätze waren im Jahresvergleich rückläufig. Die Probleme auf dem Immobilienmarkt verschärften sich, und die Verkäufe und Baubeginne neuer Häuser gingen drastisch zurück.
Auswirkungen auf die Anlagen
Bernankes Warnung vor einer Stagflation unterstreicht das Dilemma, vor dem politische Entscheidungsträger und Finanzmärkte stehen: Die Inflations- und Wachstumsdaten senden widersprüchliche Signale. Teile der US-Renditekurve sind invertiert, was auf ein gewisses Risiko einer wirtschaftlichen Rezession hindeutet.
Die Besorgnis über eine Konjunkturabschwächung hängt mit der Inflation zusammen, die die Fed zu einer restriktiven Politik zwingt und ein schwächeres Wachstum in eine Kontraktion verwandelt.
In der Eurozone ist die Situation ähnlich: Die Inflation ist so hoch wie nie zuvor und könnte die EZB zu stärkeren Maßnahmen veranlassen, was den Gegenwind durch die schwache chinesische Wirtschaftstätigkeit und einen von Russland verursachten Schock bei der Energieversorgung noch verstärken würde.
Vor dem Hintergrund des anhaltenden Ukraine-Konflikts und längerer Unterbrechungen der Versorgungskette raten wir derzeit von Staatsanleihen und europäischen Aktien ab. Wir bevorzugen Rohstoffe, japanische und Schwellenländeraktien, einschließlich chinesischer Aktien.
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